Die kontersituationistische Operation in verschiedenen Ländern

Die Erklärung der S.I. vom 25.Juni 1962 über Uwe Lausens Prozess in München zählte die drei Arten von negierenden Elementen auf, denen die situationistische Bewegung, ohne in die Zukunft vorgreifen zu wollen, bisher begegnet ist: die Polizei, wie in Deutschland; das Schweigen, dessen Rekord Frankreich innehat und letztlich die zur Schau gestellte Fälschung, zu dessen interessantestem Forschungsgebiet im letzten Jahr Nordeuropa wurde. Selbstverständlich sind diese drei Methoden keineswegs im voraus dazu bestimmt, weiter getrennt als lokale Rezepte benutzt zu werden, wie es noch der Fall sein konnte, als die ersten isolierten Situationisten auftauchten. Im Gegenteil kann man überall eine Vereinigung derselben voraussehen, deren gemeinsame Funktion es ist, die lästigen Probleme aus der Welt zu schaffen - aber mit immer wechselnden Dosierungen. Scheinbar ist die Polizei ein etwas veraltetes Verfahren, während die Fälschung das tägliche Brot dieses Jahrhunderts und das Verschweigen der Spezialisten eine viel jüngere Waffe der Gesellschaft des Spektakels ist. Gerade darin besteht aber die Macht dieser Gesellschaft, dass sie gleichzeitig auf dieser dreifachen Tastatur spielen kann. Die nicht integrierten Elemente müssen es auf jeden Fall lernen, ihre Kritik des zur Zeit erlaubten Denkens und Lebens trotz einer derartigen Sperre und ihrer ständigen Verstärkung voranzutreiben. Weder wundert noch entrüstet sich also die S.I. über die verdiente Feindseligkeit, die sie hervorruft. Es genügt, diese in der Perspektive der Gegenmaßnahmen, die wir uns heute und in Zukunft leisten können, zu beschreiben und zu analysieren.

In den letzten acht Monaten kennzeichnet unstreitig vor allem die Taktik des Betrugs durch Zurschaustellung von künstlichen situationistischen Nuancen den Widerstand gegen die S.I. - obwohl eine solche Fälschung des situationistischen Programms mehrmals, wenn auch zaghaft, versucht wurde und bei uns schon in Vergessenheit geraten war. Die Art von Manifest ist schon erwähnt worden, mit dem Jörgen Nash im Namen der skandinavischen Sektion im März die S.I. angriff. Indem er darauf baute, dass die skandinavischen Situationisten sehr zerstreut wohnen, hatte Nash vor seinem Putsch nicht alle zu Rate gezogen. Überrascht, dass man ihm nicht einmütig gefolgt war und dass die Anhänger der S.I.-Mehrheit auf der Stelle parierten, die sofort ein endgültiges Dementi verbreiteten, tat Nash zuerst so, als ob er sich darüber wunderte, es bis zum vollständigen Bruch mit den Situationisten gebracht zu haben, als wenn ein öffentlicher und trügerischer Überraschungsangriff sich mit der Fortsetzung eines Dialogs auf der Basis von wer weiß welcher Autonomie eines nashistischen Skandinaviens vereinbaren ließe. Übrigens lässt die Weiterentwicklung der Verschwörung ihre wirklichen Ziele kaum zweifelhaft erscheinen, da das schwedische “Bauhaus”, in dem zwei oder drei ehemalige skandinavische Situationisten und eine Menge von Unbekannten, die das gute Geschäft gerochen haben, zusammenkamen, sofort mit der abgedroschensten Kunstproduktion angefangen hat (dabei braucht man nicht weiter zu suchen als bis zum ersten Ergebnis der Arbeiten dieses “Neo-Bauhauses”: ‘Gedichte’ eines gewissen Fazarkeley, wie man sie schon seit 1930 nicht mehr zu schreiben wagte). Zu gleicher Zeit wurde eine kleine, vollkommen leere Zeitschrift - ‘Situationist Times’ - in Holland veröffentlicht, die sich durch diese besondere Eigenschaft auszeichnet, nur dadurch “situationistisch” zu sein, dass sie gegen die S.I. gerichtet ist, während ihre zahllosen Gelegenheitsmitarbeiter nie Situationisten gewesen sind und nicht einmal daran denken, damit zu prahlen - mit der einzigen Ausnahme einer der beiden Herausgeber, der 18 Monate lang S.I.-Mitglied war und darüber reichlich erzählen kann. Der zweite Herausgeber ist niemand Besseres als der aus seinem stalinistisch-pataphysischen Grab auferstandene Noel Arnaud. Unter den anderen Mitgliedern dieses eklektischen Vereins sind ein Ex-Lettrist und auf noch posthumere Art und Weise Boris Bian zusammengewürfelt. Bei der Polemik zwischen Nashisten und Situationisten in Skandinavien haben jene sowohl von allen Drohungen und Gewalttätigkeiten Gebrauch gemacht, die sie für aufführbar hielten, als auch von der systematischen Verbreitung einer Reihe falscher Nachrichten (wobei sie von einigen Journalisten als entschlossene Komplizen unterstützt wurden). Die aufsehenerregendste war im Juni diejenige, dass die S.I. akzeptiert hätte, mit ihnen den Dialog zwecks Rückgliederung wieder aufzunehmen. Um ihre Chancen dabei zu beweisen, erwähnten sie einen Brief des Zentralrates, der eine völlige Fälschung war. Obwohl die große Verbreitung dieser Affäre in der skandinavischen Presse die Auseinandersetzung auf ein Gebiet übertragen hatte, das natürlicherweise für die nashistische Entstellung günstiger sein sollte als für eine objektive Darlegung der S.I.-Thesen, konnten die Nashisten schließlich trotz aller Anstrengungen, um Zeit zu gewinnen und die Verwirrung von Woche zu Woche zu verlängern, nicht umhin, sich als das herauszustellen, was sie sind - der S.I. fremd, sicherlich viel umgänglicher aber viel weniger intelligent als diese.

Ein für allemal und um nie mehr daran denken zu müssen, haben alle Nashisten zunächst erklärt, sie seien mit der gesamten S.I.-Theorie einverstanden - mit ihrer Praxis sind sie es aber keineswegs. Der einzige Punkt übrigens, den sie in dieser Praxis beanstanden, ist die übertriebene Disziplin in der S.I. Dieses Übermaß an Disziplin ist gerade nichts anderes als die Übereinstimmung der Situationisten, nach einem bestimmten Zusammenhang zwischen ihren Theorien und ihrer möglichen Praxis zu suchen. Die von den Nashisten gewünschte Praxis ist sehr augenscheinlich nur die Fortsetzung der ‘aktuellen’ (d.h. mehr als vergangenen) modernistischen Kunst - aber mit schönem Werbeschild und -geschwätz versehen. Durch die geringe Kreativität dieser vorübergehend durch den Nashismus vereinigten Leute (die untereinander in nichts anderem übereinstimmen außer in ihrer Opposition gegenüber der S.I., die sie entweder sehr schlecht oder überhaupt nicht kennengelernt haben) lässt sich erklären, dass sie lieber schnell beteuern, dass sie allen unseren Thesen zustimmen wollen, als dass sie sich durch irgendeinen Revisionismus erschöpfen. Ihre Unzulänglichkeit geht aber so übermäßig weit, dass es vermutlich über ihre Kraft gehen wird, auf jene Bezug zu nehmen, und wäre es nur durch seichte Kommentare. Es wäre sehr verwunderlich, wenn selbst diejenigen unter ihnen, die Ex-Situationisten sind, jetzt unter dem Druck einer fraglichen Notwendigkeit (unsere Ideen sind doch keine gute Empfehlung für Streber) ein Talent ausüben, das sie so sorgfältig verheimlicht haben, solange sie S.I.-Mitglied waren.

Nash und seinen Verbündeten wollen wir keine besondere Perversität zuschreiben. Uns scheint der Nashismus eine objektive Tendenz auszudrücken, die aus der zweideutigen und abenteuerlichen Politik folgt, deren Risiko die S.I. auf sich nehmen musste, indem sie akzeptierte, innerhalb der Kultur zu handeln, während wir gegen die gesamte gegenwärtige Kulturorganisation sind und sogar gegen die ganze Kultur als eine getrennte Sphäre - es ist nicht weniger zweideutig und zwangsläufig abenteuerlich zu leben, indem man alles mit dem Blick und dem Programm der schärfsten Kritik betrachtet, die jedoch mit dem Leben, wie es beschaffen ist, gleichzeitig existiert. Diejenigen deutschen Situationisten, die Anfang 1962 ausgeschlossen wurden, drückten mit größerer Redlichkeit und künstlerischer Kraft eine Opposition aus, die der nashistischen darin ähnlich war, was trotzdem wirklich in ihr begründet sein könnte. In seiner Intervention bei der Göteborger Konferenz betonte Heimrad Prem nachdrücklich die wiederholte Weigerung der situationistischen Mehrheit, zahlreiche Angebote anzunehmen, etwas auf der konventionellen Ebene der künstlerischen Avantgarde “auszuführen”, in die viele die S.I. verwickeln wollten, wodurch alles wieder in Ordnung und die Situationisten in die alten Klassifizierungen der Kunstpraxis zurückgebracht werden würden. Damit drückte Prem den Wunsch der situationistischen Künstler aus, ein ausreichendes unmittelbares Betätigungsfeld zu finden. Es steht fest, dass eine solche Haltung, die allein und sofort die Kunst erneuern will, der situationistischen Theorie vollkommen widerspricht, die voraussetzt, es sei nicht mehr möglich, die traditionelle getrennte Kunst grundsätzlich zu erneuern, ohne die anderen notwendigen Umwandlungen und den freien Wiederaufbau der globalen Gesellschaft gleichzeitig durchzuführen (wobei die Hypothese der konstruierten Situation das erste Beispiel einer nach-künstlerischen Explosion sein soll, die alle ‘konventionellen Waffen’ der alten Kunst zerstören wird). Die Nashisten haben nur die Unehrlichkeit viel weiter getrieben, sowie die tiefe Gleichgültigkeit irgendeiner Theorie und selbst der konventionellen Kunsttätigkeit gegenüber zugunsten der groben kommerziellen Publizität. Obwohl sie sich würdiger verhielten, haben jedoch Prems Freunde selbst es nicht ganz vermieden, dem Kulturmarkt Zugeständnisse zu machen. Es stellt sich also heraus, dass es Künstler der Wiederholung innerhalb der S.I. gegeben hat, die vorübergehend in ihr Zuflucht genommen hatten, die unfähig waren, die gegenwärtige Aufgabe der künstlerischen Avantgarde zu verstehen, was eigentlich nicht überraschen sollte, wenn man berücksichtigt, dass unsere Forschung nur angedeutet und die konventionelle Kunst bekanntermaßen erschöpft war. Der Augenblick, in dem die Widersprüche zwischen uns und ihnen zu diesem Antagonismus gelangen, deutet darauf hin, dass die S.I. bis zu dem Punkt fortgeschritten ist, an dem die Zweideutigkeiten zutage kommen und beigelegt werden müssen. Vielleicht wurde der Punkt, an dem unsere Beziehungen zu den Anhängern einer Modernisierung der konventionellen Kunst eine unwiederbringliche Wendung eingenommen haben, mit dem in Göteborg gefassten Entschluss erreicht, die Kunstproduktionen der situationistischen Bewegung anti-situationistisch zu nennen. Die im Nashismus enthaltenen Widersprüche sind zwar vulgär, es können aber viele andere auf einer höheren Entwicklungsstufe der S.I. entstehen. Der Punkt des gegenwärtigen Bruches ist jedoch dadurch bemerkenswert, dass er auf den Augenblick hindeutet, an dem das herrschende kulturelle Milieu die Offensive ergreift, um uns zu beseitigen, bevor wir zu stark geworden sind. Früher sind wir auf einige Fälschungsversuche gestoßen - wie z.B. die des angeblichen “unitären Urbanismus” des Ruhrgebiets im Frühjahr 1961. Jetzt handelt es sich allerdings um einen zentralen Versuch. Alle, die die S.I. kennen, haben feststellen können, dass sie gegen jede Art von Druck Widerstand leistete und dass sie ein Denken weiterentwickelte, das sich der Abmilderung und der Abschwächung immer mehr widersetzte. Das kulturelle Milieu wird also jetzt sogar in seinen modernistischsten und wohlmeinendsten Nuancen ein Maximum an Verwirrung über die Wirklichkeit der S.I. fördern (brutal gesagt, wird es keinem nashistischen Unternehmen je an Geldmitteln mangeln) und uns gleichzeitig noch offener als Ausgestoßene behandeln (wie das bei den vielen Leuten zum Vorschein gekommen ist, die sich geweigert haben, Uwe Lausen vor seiner Verhaftung zu verteidigen, während dieselben für die Ausgeschlossenen aus der deutschen S.I.-Sektion eingetreten waren, die wegen desselben alten Pressevergehens angeklagt wurden.). Es wird vor allem versuchen, unsere ökonomische Erstickung verstärkt zu organisieren.

In dieser Strömung stellt das gegenwärtige nashistische Detail nur eine Nebenerscheinung dar. Seine Nachfolger werden vermutlich stärker sein. Die Nashs sind austauschbar - sie stellen unseren Antagonismus zur alten Kunstwelt dar.

Die Entwicklung des Nashismus seit Beginn seines kurzen Lebens kann unsere Analyse schon bestätigen. Seitdem die Nashisten von der S.I. getrennt sind, deren skandinavische Sektion jetzt die Zeitschrift ‘Situationisk Revolution’ herausbringt, haben die Nashisten sehr schnell das Traditionellste an den Sitten des Kunstmilieus wiedergefunden - d.h. einerseits Feilschen und Teegebäck an den Eröffnungstagen und andererseits den munteren Witz im Stil der Kunsthochschulen. So hat Nash den Zeitungen mitgeteilt, der untröstlichste seiner aus der S.I. ausgeschlossenen Anhänger sei Ambrosius Fjord gewesen, der den Grund seines Missgeschicks nicht verstehen könnte. Tatsächlich soll dieser Ambrosius Fjord kein anderer sein als ein Nash gehörendes Pferd, der eines Tages irgendeine Proklamation in dessen Namen unterzeichnet haben soll, da es der Vollständigkeit des skandinavischen Nashismus an einem repräsentativen Norweger fehlte. Sollte das ein Beispiel für die bekannte Regel sein, dass absolute Macht immer absolut kompromittiert? Wie dem auch sei, hat der nach seinem Putsch Erster seines Dorfes gebliebene Caius Nash aus seinem Pferd einen Situationisten gemacht. Warten wir auf seine nächste Erfindung: er wird behaupten, sein Pferd sei noch dazu Mitglied des S.I.-Zentralrates gewesen - hat er es doch schon mit Ähnlichem versucht. So richtet der Nashismus seine Augen so stark auf die Vergangenheit, dass die Nashisten bisher ihre Phantasie nur dafür gebraucht haben, ihre kurze situationistische Vergangenheit nach Belieben neu zu gestalten. Vor kurzem - und zwar im September - hat sich derselbe Nash hinter der Identität eines anderen Pferdes namens Patrick 0′ Brien versteckt (es sei denn, dass es sich diesmal um einen Kojoten oder einen Hering - also um gleichfalls bedingungslose Nashisten - handeln sollte?), um in einer Kunstgalerie der Stadt Odense die Malerei ‘Sieben Rebellen’ vorzustellen, von denen er jetzt zugibt, sie seien von der S.I. hinausgeworfen worden (obwohl einige nicht einmal eine solche Gelegenheit hatten) und hätten sich endlich alle zusammen innerhalb einer “skandinavisch-situationistischen Internationale” wiedergefunden. Eine schöne Idee! Nach dem 1961 von gewissen Deutschen ausgebrüteten “Nationalsituationismus” will uns Nashs sachkundiger Rennstall den “Situskandinavismus” bekannt machen. Was kann man dagegen tun? Wenn alle Pferde, die rechnen können, gleichfalls sprechen könnten, würden die Zirkusse noch bessere Einnahmen erzielen.

In den belanglosen Polemiken der Nashisten gibt es trotzdem einen Punkt, der eine perfekte Ausleuchtung lohnt. Sie behaupten, die sie ausschließende Mehrheit sei zweifelhaft, um sie aber als zweifelhaft erscheinen zu lassen, haben sie Zahlen und Tatsachen - über die Zusammenkunft des Zentralrats im Februar in Paris - veröffentlicht, die absolut unzweifelhafte Lügen sind, was ihren eigenen “demokratischen” Anspruch zugrunderichtet. Diese Frage muss jedoch genauer erörtert werden, da sie das Wesen der S.I. selbst betrifft. Die S.I.-Mehrheit hat ausdrücklich demokratische Regeln befolgt, was jeden nashistischen Widerspruch auf die Ebene der reinen Unehrlichkeit gestellt hat. Der Kern des Problems liegt aber anderswo: wäre die falsche Politik des blinden Rekrutierens und der Unterwanderung der S.I. in bestimmten Ländern durch schwachsinnige oder interessierte Mitläufer noch etwas länger geduldet worden, dann hätte die Zahl der offiziell in die S.I. integrierten falschen Situationisten bestimmt die Mehrheit gewonnen. Dadurch wäre eigentlich weder das Recht noch die Pflicht der Situationisten irgendwie verändert worden, diese als Nicht-Situationisten auszuschließen - und zwar aus folgendem elementarsten Grund: sie verstanden und billigten die Grundlagen unseres Denkens und unserer Aktion nicht, wie alles es in jedem Augenblick bewies, mit der einzigen Ausnahme ihrer Entscheidung, eines Tages in die S.I. einzutreten. Durch ein solches Verhalten hätten wir trotzdem die ganze S.I. - und sie nichts - vertreten. Es war aber besser, sich diesen Rückgriff auf die Spaltungsgewalt zu ersparen; es konnte nicht in Frage kommen, den Nashisten auf ihr Kampfgebiet zu folgen, indem man akzeptiert hätte, das in den meisten Ländern von den Situationisten verlangte Niveau - und wäre es auch nur ein wenig - zu senken, um das Gewicht der ‘loyalen’ Sektionen zu vergrößern. Wäre ein solcher Trick benutzt worden, um den Schein einer egalitären Abstimmung aufrechtzuerhalten, hätte es dann praktisch bedeutet, dass alle auf eine wirkliche Gleichheit innerhalb der S.I. verzichteten (die unwiderrufliche Aufnahme von Anhängern bzw. untergeordneten Militanten). Es war also an der Zeit, die Minderheit von Karrieremachern auszuschließen, bevor sie sich durch Kooptation noch weiter vermehrt hätte, und objektive Regeln für die Aufnahme in die S.I. überall dort festzusetzen, wo eine solche in Frage kam.

Die S.I. kann unmöglich eine Massenorganisation sein, sie kann nicht einmal Anhänger akzeptieren, wie die konventionellen avantgardistischen Künstlergruppen. In diesem geschichtlichen Augenblick, in dem unter den ungünstigsten Bedingungen die Aufgabe gestellt wird, die Kultur und die revolutionäre Bewegung auf einer vollkommen neuen Basis neu zu erfinden, kann die S.I. nur eine Verschwörung von Gleichen sein, ein Stab, der keine Truppen haben will. Es handelt sich darum, den “Zugang im Nordwesten” zu einer neuen Revolution zu finden und zu bahnen, die keine Massen von Ausführenden haben kann und die dieses bisher vor revolutionären Erschütterungen geschützte Zentralgebiet überschwemmen soll - die Eroberung des alltäglichen Lebens. Wir organisieren nur die Zündung: die freie Explosion muss uns dann für immer entgehen - sowie jeder möglichen Kontrolle (welche sie auch sein mag).

Eine der herkömmlichen Waffen der alten Welt und die vielleicht am meisten gegen jene Gruppen gebrauchte, die eine Suche nach der Bestimmung des Lebens ausdrücken, besteht darin, in ihnen einige ‘Stars’ abzusondern und zu isolieren. Wir müssen uns gegen dieses Verfahren verteidigen, das wie fast alle schändlichen Wahlen in der gegenwärtigen Gesellschaft “natürlich” zu sein scheint. Unbestreitbar mussten diejenigen von uns, die eine Starrolle spielen oder auf Stars bauen wollten, zurückgewiesen werden. Übrigens besaßen sie nicht die ihren Ambitionen entsprechenden Mittel und wir sind imstande, ihr vollständiges Verschwinden aus dem Einflussgebiet der situationistischen Problematik zu garantieren - mit der einzigen Ausnahme von Nash, den wir besonders belohnen wollen: er wird für die anderen berühmt werden! Den jetzigen S.I.-Mitgliedern, von denen keiner ein solches hierarchisches Spiel spielen will, präsentiert sich diese objektive Gefahr noch wirklicher, denn die S.l. betritt jetzt eine öffentlichere Phase und diese Situationisten werden mehr als die Nashisten Veranlassung zu Auslegungen und Kommentaren geben, die von ihren wirklichen Zielen und von denen der S.I. extrem weit entfernt sein können (vgl. z.B. die sehr persönliche Interpretationen im letzten Kapitel von Robert Estivals Buch ‘Die Pariser Kulturavantgarde seit 1945′).

Indem wir diesen Prozess des In-den-Vordergrund-Stellens abwenden, der dahin tendiert, das alte Kultur- und Gesellschaftsmodell wiederherzustellen, müssen wir die verschiedenen Öffentlichkeitsgrade berücksichtigen, die die S.I.-Mitgliedschaft zwangsläufig begleiten werden, und wäre es nur die Teilung in die bekannten Situationisten und unsere geheimen Genossen.

Im Untergrund zu bleiben wird tatsächlich in solchen Ländern unvermeidlich sein, in denen sich unsere Verbindungen nicht anders weiterentwickeln lassen, und in einigen anderen Fällen sogar wünschenswert sein, unter der Bedingung, dass die geheimen S.I.-Mitglieder unter den zuverlässigsten ausgewählt werden und nicht mehr oder weniger kontrollierbare und zweifelhafte Elemente sind, wie die Nashisten es vorschlugen. Sogar die Unterdrückung wird jetzt normalerweise den einen oder anderen von uns mehr zur Schau stellen. In den Entkolonisierungskriegen des alltäglichen Lebens kann es keinen Führerkult geben - “ein einziger Held: die S.I.!”.

In ein und derselben Bewegung würden wir ausführende Situationisten akzeptieren und uns für falsche Positionen entscheiden. Im Wesen eines jeden Anhängers liegt es, Gewissheit zu fordern, aus wirklichen Problemen schwachsinnige Dogmen zu machen, um aus ihnen seine eigene Qualität und seinen geistigen Komfort herauszuschlagen; und sich danach natürlich im Namen dieser beschränkten Gewissheit gegen diejenigen aufzulehnen, die ihm diese übermittelt haben, um deren Lehre wieder zu verjüngen. So werden mit der Zeit die Eliten der Duldung erneuert. Wir wollen solche Leute draußen lassen, weil wir alle bekämpfen, die aus der theoretischen S.I.-Problematik eine bloße Ideologie machen wollen; diese Leute sind äußerst benachteiligt und uninteressant gegenüber denen, die die S.I. ignorieren, aber ihr eigenes Leben betrachten. Dagegen können diejenigen, die verstanden haben, in welche Richtung die S.I. geht, sich ihr anschließen, weil die gesamte Aufhebung, von der wir sprechen, praktisch in der Wirklichkeit gefunden werden muss - und wir müssen sie gemeinsam finden. Die Aufgabe, extremistischer als die S.I. zu sein, kommt der S.I. zu - sie ist sogar das erste Gesetz ihrer Beständigkeit.

Es gibt schon gewisse Leute, die aus Faulheit glauben, sie können unser Projekt als ein vollkommenes, schon bestehendes, wunderbares und unangreifbares Programm ruhen lassen, zu dem sie nichts mehr zu tun haben. Man könnte sich nur noch in aller Enthaltung von Herzen für radikal erklären, da die S.I. schon alles am besten gesagt hätte. Wir sagen im Gegenteil, dass nicht nur das Wichtigste an den von uns aufgeworfenen Fragen immer noch - von der S.I. und von anderen - gefunden werden muss, sondern auch, dass das Wichtigste an dem, was wir gefunden haben, wegen unseres Mangels an allen Mitteln noch nicht bekannt gemacht wurde; dabei wollen wir nicht einmal den noch stärker spürbaren Mangel an Mitteln bei den von der S.I. auf anderen Gebieten entworfenen Experimenten erwähnen (wie z.B. auf dem Gebiet des Verhaltens). Wir sind jetzt aber z.B. der Meinung, ohne von den Editorialfragen abweichen zu wollen, dass wir selbst das Interessanteste von dem, was wir bisher veröffentlich haben, neu schreiben sollten. Dabei handelt es sich nicht darum, einige Irrtümer zu überprüfen oder einige abweichlerische Keime zu beseitigen, deren vergrößerte Endergebnisse ab und zu sichtbar wurden (wie z.B. Constants technokratisches Konzept des situationistischen Berufes, sondern im Gegenteil darum, unsere wichtigsten Thesen - gerade diejenigen, deren Entwicklung uns weiter geführt hat - zu korrigieren und zu verbessern, indem wir jetzt von dem durch sie erworbenen Wissen ausgehen. Was uns dazu verpflichten wird, verschiedenes neu herauszubringen, während die Schwierigkeiten eines gewöhnlichen S.I.-Verlagswesens noch weit von ihrer Lösung entfernt sind.

Diejenigen, die glauben, das ursprüngliche situationistische Denken sei schon zum geschichtlichen Gut geworden, womit die Zeiten sowohl der ingrimmigen Fälschung als auch der seligen Bewunderung gekommen wären, haben die Bewegung nicht verstanden, von der wir sprechen. Die S.I. hat Wind gesät - sie wird Sturm ernten.

DEFINITION

gebilligt von der Antwerpener Konferenz nach J.V. Martins Berichterstattung

Nashismus: Genau von dem Namen Nash - ein Autor, der im XX. Jahrhundert in Dänemark gelebt haben soll - hergeleiteter Ausdruck. Nachdem Nash sich vor allem durch seinen Versuch eines Verrats der revolutionären Bewegung und Theorie dieser Zeit bekannt gemacht hatte, wurde sein Name von dieser Bewegung zweckentfremdet und als Gattungsname angewandt für alle in den Kämpfen gegen die herrschenden Verhältnissen in der Kultur und der Gesellschaft tätigen faulen Brüder. Zum Beispiel: “Jedoch verging der Nashismus wie Feldgras von einem Morgen zum Abend.” Deutsch: ‘Nashismus’. Englisch: ‘Nashism’. Italienisch: ‘Nascismo’.

Nashist: Anhänger von Nash bzw. seiner Lehre. In erweitertem Sinne: das, was im Verhalten oder im Ausdruck den Absichten bzw. dem Wesen des Nashismus zugehörig ist.

Nashistisch: Dublette aus der Volkssprache. Wahrscheinlich durch die Attraktion des englischen Adjektivs ‘nashistic’ gebildet.

Nashistentum: allgemein das soziale Milieu des Nashismus. Der slang-Ausdruck ‘nashistouse’ ist vulgär.