Keine unnütze Nachsicht

Eine Mitarbeit geistiger oder künstlerischer Art, wenn man sie so nennen will, innerhalb einer Gruppe, die ähnlich wie unsere Forschungen betreibt, verbindet unseren Gebrauch des alltäglichen Lebens. Diese Mitarbeit ist immer mit einer gewissen Freundschaft verquickt.

Denken wir also an die, die an dieser Verbindung teilgenommen haben und dann aus ihr ausgeschlossen wurden, so sind wir gezwungen zu bedenken, dass sie auch unsere Freunde gewesen sind. Manchmal ist das ein Vergnügen. Für andere aber ist es lächerlich und lästig zugleich.

Insgesamt sollte die Folgezeit beweisen, wie sehr unsere Vorwürfe berechtigt und die Leute nicht zurückzugewinnen waren, die sich nicht unter uns behaupten konnten. Nur wenige unter ihnen - einige hat es trotzdem gegeben - haben sich der Kirche bzw. den Kolonialtruppen angeschlossen. Die anderen geben sich mit der Intelligentia zufrieden, in deren Schoss sie alt werden. Unsere Epoche ist so beschaffen, dass sie nicht einmal dort Karriere machen: Francoise Giroud ist an der für sie durchaus passenden Stelle und, solange dieser Ton Mode ist, gibt es keinen Grund, sie durch arbeitslose Halbgenies zu ersetzen. So dass der einer, der unter falschem Namen in der pornographischen Literatur tätig war,’ jetzt so weit ist, dass er neue Werke solcher Art und einige von den alten unter seiner echten Identität eines “Avantgardekünstlers” wieder herausbringt, um die Sache geschmackvoll zu machen. Sollte er also zufällig zu neuem Schwung kommen, müsste er unter der Hand ernste Gedanken zum Ausdruck bringen, damit man glaubt, es sei ein anderer am Werk. Nicht selbiger, sondern ein Anhänger von ihm hat sich schließlich einen Namen gemacht, indem er eine berühmte Klatschjournalistin mit einer Art Bilderrätsel versah. Solchen Ambitionen ganz fremd und darauf gefasst, von allen vernachlässigt zu werden, hat sich dieser anständige belgische Theoretiker, der damals zusammen mit einigen unserer jetzigen Freunde ein Mitglied der ‘Internationale der Experimentalkünstler’ war, in den Neigungen und Erinnerungen seiner Jugend so gut verschanzt, dass er in einer ideologischen Debatte einige nationalistische Argumente(natürlich zugunsten Belgiens) benutzen konnte.

Einer noch größeren Anzahl von Individuen konnte es aber nicht einmal gelingen, sich uns trotz der äußersten Nachsicht anzuschließen, die wir immer wieder mit ihnen geübt haben, da sie noch nichts oder bloß einige unbestimmte Albernheiten gemacht bzw. gesagt hatten. Wir haben viele von solchen gesehen, die undeutlich gespürt haben, dass dort irgendetwas geschehen sollte und dadurch angelockt, ohne selbst sehr verlockend zu sein, um uns herumkreisten. Schließlich waren sie dem Schnittmuster des treuen, jungen Mannes in der Ablösungsmannschaft des Surrealismus nachgemacht - ein Messer ohne Griff - dem etwas fehlt.

Die vor kurzer Zeit gebildete Situationistische Internationale hat die Frage von Einigkeit und Bruch wieder aktuell gemacht. Eine Periode der Diskussionen und der Verhandlungen zwischen verschiedenen gleichstehenden Gruppen, die bei dem Kongress von Alba begonnen hatte, ist in Cosio D’ Arroscia zugunsten einer disziplinierten Organisation abgeschlossen worden. Durch diese neuen objektiven Bedingungen sind gewisse opportunistische Elemente zur offenen Opposition gezwungen und sofort beseitigt worden(Säuberung der italienischen Sektion). Andererseits haben Erwartungshaltungen aufgehört, duldbar zu sein, und diejenigen unter unseren Verbündeten, die es nicht für gut gehalten haben, sich uns sofort anzuschließen, haben sich dadurch als Gegner entlarvt. All die neuen Elemente haben sich uns auf der Basis des seitdem durch die SI-Mehrheit entwickelten Programms angeschlossen. Wir würden riskieren, mit diesen Elementen und besonders mit denen, die wir in der Zukunft treffen werden, zu brechen, wenn wir akzeptieren würden, das geringste Gespräch mit jenen weiterzuführen, die ihre unheilbare Erschöpfung seit Alba deutlich gemacht haben.

Wir sind stärker und folglich verlockender geworden. Immer noch wollen wir keine harmlosen Beziehungen - wir wollen auch keine, die unserem Gegner nützen könnten. Mathieu, der doch wissen muss, was wir von ihm halten, hat im März versucht, eins seiner Werke in den Entwurf einer situationistischen Umgebungskonstruktion hineinzuschmuggeln. Geht nicht Tapié heute sogar so weit, dass er, dank einer Methode, die an die einen Schreibmaschinenraum plündernde Affenbande erinnert, sagen kann: “Da das Leidenschaftliche eben anders ist, wird alles in den Verhaltensstrukturen nach seinem Maßstab anders: das vollständige Werk im jetzigen Maßstab ist das, bei dem die andersartigen - also einheitlichen - Strukturen einen zumindest leidenschaftlichen Inhalt transzendieren”? (In den im April veröffentlichten ‘Paroxymalen Handgreif­lichkeiten’). Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass er es ganz allein schafft, einen Sinn für seine parodistische Wortfolge zu finden, wie es ebenfalls höchst unwahrscheinlich ist, dass wir seine Annäherungsversuche je akzeptieren. Er soll am besten sofort verschwinden - wir werden sehen, ob das, was nach ihm kommt, nicht besser ist.

Wir wollen klar sagen, dass alle Situationisten die Erbschaft der Feindlichkeit ihrer ursprünglichen Gruppen beibehalten werden und dass keine Rückkehr mehr möglich ist für die, die wir einmal verachten mussten. Den Bruch fassen wir aber nicht auf eine idealistische, abstrakte und absolute Weise auf. Man muss zwar klar sehen, wann die Begegnung bei einer konkreten, kollektiven Aufgabe unmöglich wird, sich aber fragen, ob sie nicht unter veränderten Verhältnissen wieder möglich und zwischen Personen sogar wünschenswert wird, die sich weiter gegenseitig schätzen konnten.

Es gibt Leute - zwei oder drei vielleicht - die wir kannten, die mit uns zusammen gearbeitet haben und dann weggegangen sind bzw. aus heute überholten Gründen gebeten wurden wegzugehen. Und die sich seither vor jedem Verzicht bewahrt haben - wie wir wenigstens hoffen wollen. Da wir sie und ihre Fähigkeiten kennenlernen konnten, sind wir der Meinung, dass diese jetzt gleich geblieben sind oder sogar noch größer geworden sind und dass sie ihren Platz noch einmal unter uns finden könnten. Zwar kann eine solche gemeinsame Arbeit, wie wir sie damals anfingen und jetzt fortsetzen, nicht gedeihen, ohne mit Freundschaft verquickt zu sein, wie ich es am Anfang sagte. Es stimmt aber auch, dass sie mit der Freundschaft nicht gleichgestellt werden kann und nicht denselben Schwankungen unterliegen sollte; und auch nicht denselben Formen von Kontinuität bzw. Nachlassen.

Michèle Bernstein