Über einige Forderungen ohne Gebrauchsanweisung

‘Der orientalische Despotismus’ von Karl Wittfogel ist hauptsächlich ein wichtiger Beitrag zur marxistischen Theorie über die zentrale und vernachlässigte Frage der ökonomischen Bedeutung des Staates in der Geschichte. Es ist leicht, die vielen Irrtümer in diesem Buch schon wegen ihrer Ungeheuerlichkeit abzuweisen. Der ganzen aktuellen Orientierung Wittfogels liegt die quasi geographische Identifizierung des ‘orientalischen’, aus der ‘hydraulischen Produktionsweise’ hervorgegangenen staatlichen Totalitarismus mit der aktuellen bürokratischen Zone der Welt zugrunde. Dabei übersieht er einerseits das Vorhandensein einer industriellen Entwicklung in der aktuellen bürokratischen Gesellschaft, die tatsächlich ihren ersten Aufschwung in den Verhältnissen der Bourgeoisie des europäischen Mittelalters hatte, die aber seitdem überall angepasst und verwaltet werden musste; andererseits unterlässt er, seine Analogien bis zur entscheidenden Rolle des Staates im konzentrierten, westlichen Kapitalismus auszudehnen. Gerade in dieser von Wittfogel vernachlässigten Perspektive zeigt sich die universelle Aktualität einer Macht am besten, die Marx’ Analysen wegen ihres vorübergehenden wirtschaftlichen Zurücktretens zwischen dem Mittelalter und dem XIX.Jahrhundert unterschätzt haben, wodurch der kumulative ‘Start’ der Ökonomie und schließlich die Erscheinung eines ökonomischen Denkens effektiv ermöglicht wurden). Wittfogels Schematisierung will zu dem Schluss führen, dass die westliche Freiheit die hydraulischen Sklaven so schnell wie möglich durch einen Krieg zurückdrängen muss, die sie von Moskau und Peking aus belagern. Am Schluss seines Buches zitiert Wittfogel Herodots Satz, in dem behauptet wird, dass wer weiß, was Freiheit ist, “nicht nur mit der Lanze, sondern auch mit der Axt” für sie kämpft. Dieser spezielle Optimismus, der hier Doktor Strangelove zustimmt, wird übrigens durch die Tatsache als falsch bewiesen, dass oft gerade diejenigen, die die Freiheit nie kennengelernt haben, am besten für sie gekämpft haben, wie die Vietnamesen und die Massen in Santo Domingo es Wittfogels ‘marines’ schon gezeigt haben. Der Leser könnte sich also in den Wahnbildern, in denen Wittfogel sich verläuft, allein zurechtfinden. Das wird durch das pedantische Vorwort aber gewiss nicht erleichtert, in dem Pierre Vidal-Naquet schnell seine eigene ‘linke’ Gegeninterpretation eigenmächtig ohne die Erlaubnis des Verfassers eingeschoben hat. Diese ‘linke Kritik’, über die der Leser nachdenken soll, bevor er zum - sicherlich rechten - Denken des Autors gelangen darf, ist sowohl inhaltlich als auch in ihrer Präsentationsweise autoritär. Vidal-Naquet kriecht so sehr vor dem Neo-Stalinismus, dass er dazu beiträgt, eine Teilung der Welt à la Wittfogel fortbestehen zu lassen. Lüge gegen Lüge - man braucht nur die Wahl zu treffen. Ein ausreichend schändliches qualitatives Beispiel: Vidal-Naquet gestattet sich in einer Fußnote auf S.41 seines Vorwortes zu schreiben: “Unter Marxisten verstehen wir die Mehrheitsströmungen der internationalen kommunistischen Bewegung. Offensichtlich haben die stalinistischen Thesen überhaupt keinen Einfluss auf diejenigen, die ihrem Wesen nach antistalinistisch waren. Deren Position hier studieren zu wollen, wäre für unser Thema uninteressant.”

Gabels Buch ‘Das falsche Bewusstsein’ (Editions de Minuit) ist im großen und ganzen ein ausgezeichneter Vergleich zwischen Schizophrenie und politischer Ideologie, in dem gezeigt wird, wie beide aus einem Verlust der dialektischen Erfassung der Wirklichkeit entstehen. Gleichzeitig führt jedoch der Mangel an einer daraus resultierenden Kritik der Praxis der politischen Ideologie (bei Gabel überwiegt die psychiatrische Beschreibung vollständig die Erkennung der mit der ideologischen Entfremdung in gegenseitiger Beeinflussung stehenden Interessen) zu einer bestimmten Schwäche Gabels gegenüber der stalinistischen Orthodoxie, sowie gegenüber dem westlichen akademischen Denken - siehe z.B. den unwillkommenen Versuch, Bergsons Lehre zu retten. ‘Das falsche Bewusstsein’, in dem jede revolutionäre Theorie und Aktion zusammen mit den Abwässern der Ideologie zurückgewiesen wird, stellt sich letzten Endes als ein Buch der ‘Spezialisation ohne Bezug’ heraus und eines Spezialisten ohne Perspektive, das nicht wissen will, wozu es dienen und wem es nützlich sein kann. Nun kann das von Gabel oft erwähnte dialektische “Wieder auf die Beine Stellen” - nach Marx’ Behandlung der hegelschen Methode - keineswegs als die bloße Verbesserung der dialektischen Rede im Buch selbst aufgefasst werden. Wie Karl Korsch in ‘Marxismus und Philosophie’ richtig darauf hinwies, ging Hegels Umkehrung weiter. Ein dialektisches Buch in unserer Zeit ist nicht nur ein Buch, das dialektisch eine Schlusskette entwickelt; es ist ein Buch, das seine eigene Beziehung zur wirklich umzuwandelnden Totalität erkennt und kalkuliert.

Maurice Pianzolas Buch ‘Maler und Bauern’ (Verlag ‘Cercle d’Art’ 1962) hat den Verdienst, die Beteiligung der hauptsächlichen Künstler der damaligen Zeit an dem Bauernkrieg von 1525 - und oft in einer führenden Rolle unter den Aufständischen - zu zeigen. Leider ist diese Abhandlung im Rahmen eines Kunstbuches begrenzt.

Kostas Papaioannous’ Taschenbuch ‘Die Marxisten’ in der Sammlung ‘Das Wesentliche’ stellt eine vortreffliche, klug und redlich kommentierte Auswahl dar. Doch beschränkt sich dieses Verständnis der Texte auf die Perspektive eines Historikers, der eine vollendete Periode behandelt. Es ist seltsam, solche Texte herauszubringen, ohne deren Zukunft zu ahnen. Der mögliche Gebrauch seines Buches entgeht dem Autor, der anscheinend sogar glaubt, es habe gar keinen. Das ist ein Beispiel für ein grundsätzliches Kennzeichen der gegenwärtigen Massenkultur. Wegen der Widersprüche und oberflächlichen Unsicherheiten dieser Kultur können viele abstrakt brauchbare Informationen in ihr übermittelt werden - aber in einer praktischen Inkohärenz. Die seltsame, partielle, verhaltene Kohärenz von Papaioanous Arbeit ist der obere Grenzfall dieser Inkohärenz.

Sehr unterschiedlich zu den eben genannten Büchern, die lesenswert sind, ist Francoise Choays Sammelwerk ‘Urbanismus - Utopie und Wirklichkeit’ (Verlag ‘Le Seuil’) Es ist nur wegen der Leistung nennenswert, dieses Thema behandelt zu haben, ohne auch nur eine einzige situationistische These erwähnt zu haben.