Über zwei Bücher und ihre Autoren

Im Mai 1965 sind bei Julliard gleichzeitig zwei Bücher von Francois George - ‘Obduktion Gottes’ - und von seinem Bruder Jean-Pierre - ‘Veranschaulichung der tragischen Illusion’ - herausgekommen. In ihrer Gesamtheit legten diese Bücher - selbstverständlich in der alleinigen Verantwortung ihrer Verfasser - einen Teil der Probleme und sogar der besonderen Antworten und Formulierungen dar, die die Zeitschrift ‘Situationistische Internationale’ zuvor bekannt gemacht hat.

Zuerst soll darauf hingewiesen werden, dass die Presse Francois und J.-P. George sofort - vorgeworfen hat, ihre Werke “bei einem bürgerlichen Verlag” veröffentlicht zu haben (’L’ Express’ vom 17.5.65). Die Umschlaggraphik, deren Avantgardismus tatsächlich ziemlich bedauernswert ist, da er in Deutschland schon seit den 20er Jahren veraltet und in Frankreich in der Nachkriegszeit durch die Veröffentlichungen der Zeitschrift ‘K’ bekannt gemacht worden war, wurde sogar zum Inhalt der Kritik eines scharfen Denkers namens Jean Freustié, der uns dann folgendes mitteilte: “Dass unsere Gesellschaft auf eine Gesellschaft der ‘entfremdeten’ und von der Werbung verzehrten Konsumenten reduziert und dass in ihr der Mensch zum Gegenstand wird - das hat man schon bedacht.” (’Nouvel-Observateur’ vom 17.6.65). Durch das viele Denken hat Freustié aber nicht einmal in diesen Büchern die klassische Banalität seiner eigenen geistigen Umwelt gesehen. In ihnen werden ‘kunterbunt durcheinander Stalin, Chruschtschow, Sartre, Louis Armand und Bloch-Lainé’ angegriffen, bemerkt er, “was ihn trotz allem verblüfft”, wie er zugibt, bevor er eine solche Haltung als einen ‘romantischen Verzicht’ bezeichnet. Es ist gar nicht interessant, auf die Beziehungen zwischen Sartre und Stalin zu antworten, sondern vielmehr auf die zwischen dem kritischen Denken und dem Verlagswesen (wobei die genauen Absichten und Verdienste der beiden betreffenden Bücher nicht berücksichtigt werden). Es liegt auf der Hand, dass es zur Zeit auf der Welt nur vier Verlagsformen geben kann: die bürokratisch-staatliche; die bürgerliche, die halb wettbewerbsmäßig ist, obwohl sie einer wirtschaftlichen Konzentrationsbewegung unterworfen ist; die unabhängige dort, wo eine radikale Theorie sich selbst unter legalen Verhältnissen veröffentlichen kann und letztlich die geheime. Die S.I. - und natürlich jede, irgendwo hervortretende kritische Strömung - praktiziert die zwei zuletzt aufgezählten Formen und wird sie auch weiterhin praktizieren; sie kann die zweite in vielen Fällen benutzen (um eine qualitativ andere Verarbeitung zu erlangen), da diese Form potentiell so viele Widersprüche enthält wie eine anarchische Konkurrenz und nicht geplante ideologische Unsicherheiten in ihr übriggeblieben sind. Sie lässt sich natürlich nur mit der ersten absolut nicht vereinigen, aus dem sehr einfachen Grund, falls es notwendig ist, daran zu erinnern: ein Verlag bürgerlich-wettbewerbsmäßigen Typs will keinen Zusammenhang zwischen sich und seinen verschiedenen Autoren garantieren; seine Autoren werden für sein Wesen nicht verantwortlich gemacht und umgekehrt ist der Verleger für das Leben bzw. die Ideen eines Autors überhaupt nicht verantwortlich. Nur der bürokratisch-staatliche Verlag (bzw. der von Parteien, als Ausdruck einer solchen, im Entstehen begriffenen Bürokratie) haftet auf wechselseitige Weise vollständig für seine Autoren: er muss auf jedem Gebiet für seine Autoren bürgen und seine Autoren müssen auch für ihn bürgen. Dadurch stellt er für jeden revolutionären Ausdruck eine doppelte Unmöglichkeit dar.

Durch eine andere unredliche, von einem gewissen Bernard Lambert in ‘Arts’ vom 9.Juni an den Büchern der Brüder Georges geübte Kritik wird enthüllt, dass sie “zufällig einen gemeinsamen Lehrer” - die S.I. - “bestohlen haben” - und dies ohne Talent: “Nur deshalb verweile ich so lange bei der S.I. (zu beachten ist: er hat gerade 30 besonders schwachsinnige Zeilen über sie geschrieben!), weil jedes dieser beiden Bücher eine Art Unterarbeit von ihr darstellt, das Werk eines Kopisten, der ein Verfahren kommerzialisiert”. Man möchte glauben, das Lamberts Strenge durch die persönliche Überlegenheit gerechtfertigt wird, die ihm von denen, die ihn zufällig kennen, auf dem Gebiet des Kokettierens mit subversiven Neuigkeiten zuerkannt wird. Diese Art aber, Bezug auf situationistische Positionen zu nehmen, von denen die ‘Intellektuelle’ Presse nie spricht, als ob sie von allen angenommen bzw. diskutiert würden, ist höchst verdächtig. Alles wird klar, wenn dieser Kritiker ungeschickterweise hinzufügt: “Man versteht, wie verlockend diese Bewegung sein kann und es wundert einen nicht zu sehen, wie viele Intellektuelle (wie z.B. Joubert in Strassburg) sich zusammen mit den Gründern oder nicht dieser schönen Übung hingeben, bei der oft die Intelligenz das ist, was man am wenigsten entbehrt.” Es wird genügen zu wissen, dass dieser Joubert aus Strassburg, der hundertmal unbekannter als die Brüder George oder Lambert selbst ist, eine Zeitschrift von modernistischen Protestanten leitet, in der man sich rühmt, ab und zu die S.I. und Marx zu zitieren. Schon im ersten Augenblick, in dem solche Theoretikerlarven versucht haben, uns näher zu kommen, haben wir geantwortet, dass wir uns niemals mit Pfaffen unterhalten würden, wie abweichend sie auch immer sein bzw. werden könnten. Auf solch armes Wild sind also zur Zeit die Journalisten angewiesen, die auf einen französischen Nashismus - “zusammen mit den Gründern oder nicht” - lauern. Vom selben Standpunkt aus kann verstanden werden, warum die Kritiker, die nie auf ein einziges der doch schreienden Plagiate von situationistischen Veröffentlichungen durch Modedenker (von denen Henri Lefebvre der unglücklichste war) hingewiesen haben, die Brüder George gern dessen beschuldigen würden, da diese sehr viele unserer Ideen bzw. Sätze übernommen haben und uns auch auf vielen Seiten offen zitiert haben.

Nachdem Francois und J.P. George diese Bücher als persönliche Werke veröffentlicht hatten, die den Situationisten vollständig zustimmten, ersuchten sie die S.I. um ihren Beitritt. Sie kamen ziemlich lange und oft mit mehreren von uns zusammen. Schließlich mussten wir beide ablehnen - aber aus verschiedenen Gründen. Da beide öffentlich unseren Boden betreten hatten und wir meinten, dass wir sie dort nicht aufhalten konnten, müssen wir sagen, warum denen unsere Gründe mitteilen, die sie eventuell zu berücksichtigen haben. Wir diskutierten nicht über den Inhalt - und selbstverständlich noch weniger über den theoretischen Inhalt - ihrer Bücher, sondern über ihre Fähigkeit, selbständig zu denken und zu leben. Vom Monat Juli an mussten wir uns weigern, Francois weiter zuzuhören, der alle langweilte. Er legte die offensichtlichste Unfähigkeit an den Tag, auch nur den geringsten Gebrauch von den Konzepten und dem Lebensstil zu machen, die er mit lobenden Worten in seiner ‘Obduktion Gottes’ vorgestellt hatte. Ein solches Lob kann uns unmöglich genügen, uns verlocken und seine Träger für uns interessant machen. Der durch zwei oder drei armselige Zwangsvorstellungen gedrungene theoretische Pudding, den der sich selbst überlassene Francois George anzubieten hatte, zeigte leider, dass er sich keinen Punkt der Theorien hatte aneignen können, die er in seinem Buch mit unwissender Begeisterung übernommen hatte. Da er grundsätzlich zum Dialog unfähig war, sowohl aus einer albernen Angst vor jedem Abenteuer des Lebens als auch aus einer voreiligen Verbitterung wegen der Mühe, zur theoretischen Information und Kohärenz zu gelangen, hätte Francois George sich auf eine typische Anhängerhaltung beschränken müssen, der trotz seiner Ansprüche einer einseitigen Belehrung unterworfen bleibt. Das widerspricht aber vollkommen unseren Zielen und Neigungen. Eine solche Belehrung, egal ob der Anhänger ihr ehrfurchtsvoll zuhören oder sie kindisch beanstanden will, hat unter den Situationisten keine wirkliche Existenzgrundlage. Wenn jemand seine Beziehung zu uns eine Belehrung nennt - wobei es nicht von Bedeutung ist, ob er sich darüber freut oder beklagt - so schaffen wir sie sofort ab und beweisen dadurch praktisch, dass sie gewiss nicht für eine positive Lehre gehalten werden kann.

Jean-Pierre George verfiel dieser subjektiven Inkohärenz nicht und die Diskussion, ‘die mit ihm unter besseren Umständen angefangen hatte, dauerte bis zum Herbst. Dann nahm aber eine objektive Inkohärenz überhand. Es wurde ohne Mühe entdeckt, dass er ein allzu biegsames Rückgrat hatte - und zwar nicht nur uns, sondern auch anderen gegenüber (vgl. seine Unterschrift in der Nummer 3 des Magazins ‘Pariscope’ neben Jean Cau). An diesem Punkt glaubte er, er könne zu einer Art Flucht nach vorn greifen: er kam zu uns und sagte mit unbefangener Miene, dass nach seinen neuesten Berechnungen jedes radikale Denken damit viel (wie viel eigentlich?) gewinnen würde, sich offiziell vom Begriff des ‘Kompromisses’ loszusagen. Darin war er ein Vorläufer des geschickten Domenach, der seither jede Spur des Wortes Entfremdung abschaffen wollte; nur hatte er sein Publikum nicht so gut gewählt. Da wir in der S.I. mehr oder weniger ergebene Anhänger gar nicht brauchen, können wir nur diejenigen, die unsere Genossen sind bzw. es werden wollen, vor einigen bestimmten unter uns oder öffentlich eingenommenen Haltungen warnen, die gewiss jeden Dialog unmöglich machen würden. Eine solche Warnung ermüdet uns bereits und ist uns zuwider, da sie ihre eigene Unfähigkeit zur kohärenten Autonomie innerhalb der S.I. zur Genüge zu erkennen gibt. Die Wiederholung derartiger Warnungen bei verschiedenen Gelegenheiten ist ein genügendes Symptom, um den zurückzuweisen, der so unsicher ist. Aus um so besserem Grunde ist es nicht einmal denkbar, dass wir ihnen Vorwürfe machen, wenn sie eine einzige dieser Warnungen nicht berücksichtigen. Dann haben wir ihnen buchstäblich nichts mehr zu sagen.

Indem wir Francois und Jean-Pierre George mit fast übermäßiger und auf jeden Fall lobenswerter Geduld beachteten, konnten wir sie genügend kennenlernen, noch bevor sie der S.I. beitraten; sie brauchten nicht ‘ausgeschlossen’ zu werden - sie sind vergangen. Es bleibt nichts von ihnen übrig. Das können Sie selbst feststellen, wenn Sie es nicht glauben wollen.