Das Gold der S.I. (Fortsetzung und Ende)

In der gesamten schwachsinnigen Mythologie, die von der Studentenverdrängung bzw. der Eifersucht der Bosse der gauchistischen Sekten über die S.I. konstruiert worden ist, nimmt das Thema des Geldes einen bevorzugten Platz ein. Uns wird gleichzeitig vorgeworfen, durch Erbschaften sehr reich zu sein und durch die S.I. zu Reichtum gekommen zu sein; durch obskure Gelder finanziert zu werden und Gangster zu sein. Wir sehen wohl, dass wenige Gruppen mit revolutionären Absichten zumindest in Frankreich genug Geld hatten, um es unter Verzicht auf Rückerstattung in ihrem Unternehmen zu verbrauchen, was eine Art proletkulthafter Mystik des langen, materiell kaum leserlich vervielfältigten Textes hervorgebracht hat. Das ist aber kein Grund zu solchen Verallgemeinerungen. Die alte Weit prägt uns noch so tief, dass im Mai, als mehrere streikende Druckereien kostenlos für uns arbeiteten, Leute immer noch vorschlugen, zu kaufen, was wir immer wieder verschenkt haben, und sich Gedanken über unsere Kosten und Geldmittel machten. Wir wollen hier auf alle diese Gerüchte antworten, in der Hoffnung, dass es das letzte Mal ist. In diesem Bereich werden wir, wie man sich denken kann, nicht alles sagen - aber alles, was wir sagen, wird wahr sein.

Am meisten wundern sich die Zuschauer darüber, dass wir uns eine so ‘luxuriöse’ Zeitschrift leisten können, das Wort wurde in mehreren Artikeln von Journalisten gebraucht. Vor allem antworten wir darauf, dass eine Zeitschrift, die von Anfang an für drei Franc verkauft wird - obwohl wir keineswegs beabsichtigen, die Kaufkraft des Francs aufrechtzuerhalten - im Ernst nicht als ‘luxuriös’ bezeichnet werden kann. Andere Leute weisen übrigens auf die übermäßige Zeitspanne zwischen dem Erscheinen zweier Nummern hin, es stimmt aber, dass sie nur zum beschränkten Teil aus Finanzierungsschwierigkeiten herrührt, zum großen Teil vielmehr aus der Tatsache, dass wir sonst viel zu tun haben, und bis zu einem gewissen Grade auch aus unserer Faulheit. Um unseren Luxus zu erklären, ist alles gesagt worden - Finanzierung durch Ost-Deutschland bzw. Boris Souvarine (der anscheinend doch finanzielle Schwierigkeiten hatte, um seine eigene Zeitschrift weiter herausgeben zu können), durch die Freimaurerei und sogar die CIA (dieses letzte Gerücht stammt von Boumediennes Polizei, die wohl einige Gründe hat, uns nicht zu lieben). Zeigen wir jetzt ein für allemal auf, wie es eigentlich mit diesem Luxus steht. Unsere französische Zeitschrift, von der alle Nummern vergriffen sind, hatte bei der letzten Nummer eine Auflage von 5.000 und bei dieser Nummer eine von 10.000 Exemplaren. Einen beträchtlichen Teil jeder Auflage schenken wir revolutionären Gruppen in verschiedenen Ländern, aber jede verkaufte Nummer bringt uns schließlich 2 Francs ein, wobei die vorigen Nummern kaum mehr als 10.000 und die hiesige weniger als 20.000 Francs gekostet haben. Daher kann man also leicht verstehen, dass wir, wenn wir auch nur sehr wenige Exemplare kostenlos verteilen würden, diese ‘luxuriöse’ Zeitschrift schon mit Gewinn verkaufen würden. Wenn wir den Verkaufspreis bei 6 Francs festsetzen würden, so würde der Gewinn sehr groß sein, wir haben aber immer wieder diese Möglichkeit zurückgewiesen, da wir sie für kleinlich halten (denjenigen unserer Leser, die Lust zum Kopfrechnen haben, sei es überlassen, die Summe auszurechnen, die diese Zeitschrift der S.I. einbringen könnte, bei ihrem jetzigen Preis bzw. bei 6 Franc, bei drei- oder sechsmonatiger Erscheinungsweise mit je einem Drittel der Seitenzahl).

Es stimmt natürlich, dass wir andere Kosten haben: Anwälte, Hilfsmittel für einige geldarme revolutionäre Gruppen und S.I.-Genossen, die gezwungen sind, vorübergehend das Land zu wechseln; Delegierte, die dringend ausgesandt werden müssen und auf eigene Kosten nicht schnell genug reisen könnten; Ankauf von Material usw. Trotzdem bekommt die S.I., die sich weigerte, irgendeinen Mitgliedsbeitrag zu verlangen, natürlich all das als Potlatch, was ihre Mitglieder und einige von denen, die man in der alten Politik ‘Sympathisanten’ nennen würde, ihr geben können. Und wir sind weit davon entfernt, trotz - oder vielleicht gerade dank - so vieler Ausschlüsse, Brüche und Kontaktverweigerungen isoliert zu sein. Die Bescheidenheit der S.I.-Genossen, die die schon erschienenen situationistischen Bücher verfasst haben, wird nicht unter dem Hinweis darauf leiden, dass auch diese Bücher etwas Geld eingebracht haben. Andererseits war dieser S.I.-’Reichtum’, der deswegen verwundert, weil er im Gegensatz zur relativen individuellen Armut der Situationisten steht, immer das Ergebnis der Kunst, Schulden zu machen, zu passender Zeit dann genügend Geld zu finden, um die meisten zu begleichen, und um neue Schulden machen zu können.

Dass wir so fähig sind, ‘Geld aufzutreiben’ ohne die Unabhängigkeit der S.I. zu veräußern und vor allem ohne dass es sofort in irgendeine persönliche Bereicherung versinkt - darüber geraten gewisse Leute in Wut. Und zwar gerade diejenigen, aus deren Benehmen man nicht im geringsten schließen kann, dass sie die minimale Strenge einhalten würden, wenn ihnen nur ein Zehntel von den fragwürdigen Bereicherungs’gelegenheiten’ eines Tages angeboten würde, die wir ständig abgelehnt haben.

Daraufhin wirft man den Situationisten ihren ererbten bzw. erworbenen Reichtum vor. So dass diejenigen, die behaupten, nicht so reich zu sein, und uns diesen Reichtum anhängen, sich gerade dadurch entschuldigen, dass sie geistiges Strebertum und Prostitution praktizieren und ihre Feder verkaufen mussten. Weil sie arm waren und es nicht allzu lange bleiben wollten und nicht sehr interessant - außer für ihre Schutzherren im CNRS oder in sonstigen Salons -, was hätten sie sonst machen können? “Sicher, wir würden uns so standhaft wie die Situs verhalten, wenn wir nur deren Renten hätten!” Da unsere Gegner jedoch den totalen Mangel an Ernsthaftigkeit dieser Beschuldigung einsehen, hängen sie uns gleichzeitig an, uns durch die S.I. persönlich zu bereichern. Es liegt aber auf der Hand, dass keiner einen einzigen Situationisten kennen kann, der auf irgendeinem Gebiet Karriere gemacht hat, indem er seinen Ruf (der übrigens wegen des Inhalts selbst der Positionen der S.I. und unserer Politik stark begrenzt ist) dazu benutzt hat, sich in diesem oder jenem geistigen Amt wie Rubel, Lefebvre u.a.m. zur Schau zu stellen. Ist es so, dass fast alle Situationisten sich durchschwindeln müssen? Dann werden sie schwachsinnigerweise als Zuhälter oder Rauschgifthändler denunziert - beides gesetzwidrige Handlungen, die der von der revolutionären Bewegung erforderten Methode und Praxis offensichtlich entgegengesetzt sind, da jede Illegalität bei weitem noch nicht mechanisch deswegen gut ist, weil sie einem Gesetz widerspricht. Ist es so, dass die Situationisten einige der vorhandenen Vertriebswege benutzen? Dann wird ihr endlich bewiesenes weltgewandtes Strebertum denunziert. Man braucht nur zu sehen, welche übermäßigen Verleumdungen die bloße Veröffentlichung der Bücher zweier Situationisten beim armen Verleger Gallimard hervorgerufen hat. Wir hatten schon in der ‘S.I.’ Nr.10 gesagt, was wir (wie Marx, Bakunin und sonstwer) vom Gebrauch der Verleger in der bürgerlichen Welt halten. Sogar nachdem wir wegen einer relativ leichten Dummheit, die in seiner Umgebung begangen worden war, rechtswidrig mit Gallimard vollständig gebrochen hatten, führten Schwachköpfe dieses Beispiel immer noch für unsere ‘Rekuperation’ an. Es wird uns sogar vorgeworfen, von der ‘bürgerlichen Presse’ übermäßig zitiert zu werden, während alle Zeitungen und Zeitschriften uns jahrelang absolut totgeschwiegen und wir immer wieder Interviews abgelehnt haben.

Während man uns gleichzeitig gerade das Gegenteil vorwirft, greift man einige Situationisten wegen der Lohnarbeit an, die sie eventuell verrichten mussten. Sind einige von uns Maurer, Seeleute, Hafenarbeiter gewesen - dann ist das nichts anderes als künstlerischer Proletkult. Khayati übersetzt eine wissenschaftliche Enzyklopädie und ist gleichzeitig Redakteur bei einer anderen: nord-afrikanische Bürokraten schreiben ihm eine üppige Lebensart zu, die sie bei derselben Gelegenheit sehr verdächtig finden. Vaneigem hat immer in anonymer und untergeordneter Stellung als Redakteur bei der zweiten hier erwähnten Enzyklopädie gearbeitet, die eine vollständig ‘objektive’ Information zu liefern behauptet; allein er hat noch dazu Texte für die Zeitschrift ‘Constellation’ verbessert. Er muss sofort deren Direktor gewesen sein, man stellte ihn sogar als Chefredakteur des ‘Readers Digest’ auf!

Was Debord betrifft, von dem der wahnsinnigste unserer Gegner nur schwer sagen könnte, er habe je seinen ‘Ruf’ als Situationist in dem einzigen, ihm anerkannten Beruf - und zwar Filmemacher - kommerzialisiert oder je angenommen, in diesem Bereich irgendetwas zu tun, das seinen gesamten revolutionären Positionen, sei es formal oder inhaltlich, widerspricht, so wird ihm ganz einfach ein riesiger ererbter bzw. noch zu erbender Reichtum, ein steinreicher Industrieunternehmer, ja sogar ein Minister als Vater unterschoben. Allerdings behaupten Erfinder mit weniger Sinn für Humor, er verdiene seinen Lebensunterhalt und finanziere sogar die S.I. dadurch, dass er ganz einfach beim Pokerspiel mogelt. Von René Viénet ist gesagt worden, er sei an verschiedenen ‘racketts’ beteiligt - er ist sozusagen ein Sinologe. Andere tadeln ihn auch deshalb. Zusammenfassend: die Situationisten - und ein hoher Prozentsatz unserer Ausschlüsse kann das bezeugen - haben nie etwas getan, indem sie für ihr persönliches ökonomisches Überleben oder auch für ihre kollektive Finanzierung (denn das sind zwei verschiedene Fragen) sorgten, das den allgemeinen revolutionären Methoden, die wir behauptet haben, und der Kohärenz des praktischen Prozesses, den diese mit sich bringen, entgegen steht. Diejenigen, die das Gegenteil behaupten, verleumden uns ohne die geringste Spur der Wahrscheinlichkeit. Die künftige revolutionäre Bewegung wird über dieses archaische Verhalten hinauswachsen, da sie sich weniger mit Anekdoten aus der vorherigen Periode beschäftigen und es verstanden haben wird, durch ihre Praxis selbst die Frage ihrer eigenen Finanzierung zu lösen.