Der Film und die Revolution

In ‘Le Monde’ vom 8.Juli 1969 wundert sich J.P. Picaper, der Korrespondent bei den Berliner Festspielen, dass “Godard nun die gesunde Selbstkritik in seinem Film ‘Die fröhliche Wissenschaft’ - einer Ko-Produktion von ORTF und des Stuttgarter Rundfunks - so weit treibt, dass er bei Dunkelheit gedrehte Bildfolgen zeigt bzw. sogar den Zuschauer während einer kaum erträglichen Zeitspanne vor der leeren Leinwand sitzen lässt”. Ohne ermessen zu wollen, was dieser Filmkritiker “eine kaum erträgliche Zeitspanne” nennt, kann man feststellen, dass das Werk des immer an der Spitze stehenden Godard seinen Höhepunkt in einem zerstörerischen Stil erreicht, der genauso spät imitiert und unnütz ist wie alles übrige, da diese Negation in der Filmkunst bereits formuliert wurde, bevor Godard mit der langen Reihe anmaßender falscher Neuheiten begonnen hatte, die bei den Studenten der vorherigen Periode so viel Begeisterung hervorrief. Derselbe Journalist schreibt, dass derselbe Godard in einem ‘Die Liebe’ betitelten Kurzfilm durch die Vermittlung eines seiner Helden zugibt, man könne nicht “die Revolution verfilmen”, da “die Filmkunst die Kunst der Lüge sei”. Die Filmkunst war genauso wenig eine ‘Kunst der Lüge’ wie jede andere Kunst, die in ihrer Gesamtheit schon lange vor Godard gestorben war, der nicht einmal ein moderner Künstler gewesen ist - d.h. einer, der zu einer geringsten persönlichen Originalität fähig ist. Der maoistische Lügner beschließt also sein Werk, indem er versucht, die Erfindung einer Filmkunst, die keine sei, bewundern zu lassen, wobei er gleichzeitig eine Art ontologische Lüge entlarvt, an der er angeblich wie alle anderen teilgenommen habe, jetzt aber nicht mehr teilnimmt. Praktisch ist Godard mit der Bewegung vom Mai 1968 sofort veraltet gewesen, als spektakulärer Hersteller der Pseudo-Kritik einer Kunst, die er sich in den Mülleimern der Vergangenheit geholt hatte, um sie rekuperierend zusammenzuflicken (vgl. ‘Die Rolle Godards’ in ‘S.I.’ Nr.10). Zu diesem Zeitpunkt ist Godard als Filmemacher grundsätzlich beseitigt worden, wie er von Revolutionären, denen er auf ihrem Weg begegnet ist, mehrmals persönlich beschimpft und lächerlich gemacht wurde. Als revolutionäres Kommunikationsmittel ist der Film nicht an sich lügnerisch, weil Godard bzw. Jacopetti ihn gebraucht haben; genau wie jede politische Analyse nicht deshalb zur Falschheit verurteilt ist, weil die Stalinisten solche geschrieben haben. Zur Zeit versuchen in verschiedenen Ländern mehrere neue Filmemacher, Filme als Werkzeuge einer revolutionären Kritik zu gebrauchen, was einigen von ihnen teilweise gelingen wird. Nur werden die Grenzen, die ihnen sowohl in ihrer Erkenntnis der revolutionären Wahrheit selbst als auch in ihrer ästhetischen Auffassung auferlegt werden, sie unserer Meinung nach noch ziemlich lange daran hindern, so weit zu gehen, wie es nötig wäre. Wir meinen, dass zur Zeit nur die situationistischen Positionen und Methoden, wie sie in unserer vorigen Nummer in R. Viénets Thesen formuliert wurden, den direkten Zugang zu einem gegenwärtig revolutionären Gebrauch des Films möglich machen - wobei natürlich die politisch-ökonomischen Bedingungen immer noch ein Problem sein können.

Bekanntlich wollte Eisenstein ‘Das Kapital’ verfilmen. Dabei kann man sich übrigens bei der Formkonzeption und der politischen Unterwürfigkeit dieses Regisseurs fragen, ob sein Film dem Marxschen Werk treu geblieben wäre. Was uns aber betrifft, so zweifeln wir überhaupt nicht daran, es besser machen zu können. So will z.B. Guy Debord, sobald das möglich wird, selbst eine Verfilmung der ‘Gesellschaft des Spektakels’ drehen, die seines Buches bestimmt nicht unwürdig sein wird.