Die letzten Ausschlüsse

Am 21.Dezember 1967 sind Timothy Clarke, Christopher Gray und Donald Nicholson-Smith genau zu der Zeit aus der S.I. ausgeschlossen worden, als sie dabei waren, in England eine Zeitschrift herauszugeben und dort mit der Gruppentätigkeit zu beginnen (einige Monate vorher hatte sich Charles Radcliff aus persönlichen Gründen zurückgezogen).

Die Meinungsverschiedenheiten, die bei allen anderen Punkten nicht vorhanden oder zumindest unbemerkt geblieben waren, haben sich plötzlich nicht daran entzündet, was in England gemacht wurde, sondern an der Frage der Beziehungen und der möglichen Aktion der S.I. in den Vereinigten Staaten. Vaneigem war im November als Delegierter aller Situationisten nach New York gegangen und er hatte dort sein Mandat genau erfüllt, indem er unter anderem mit den Genossen diskutierte, mit denen wir - nach Meinung aller und insbesondere der Engländer - die am weitesten entwickelten Kontakte hatten und die seitdem unsere amerikanische Sektion gebildet haben. Vaneigem weigerte sich, mit einem gewissen Ben Morea, dem Verleger des ‘Black Mask’-Bulletins, zusammenzukommen, mit dem unsere amerikanischen Genossen über so gut wie alle Fragen der revolutionären Aktion in Konflikt geraten waren und dessen intellektuelle Ehrlichkeit sie sogar bezweifelten. Außerdem musste Vaneigem schon ein weiteres Gespräch mit einem gewissen Hoffmann ablehnen, der ihm gegenüber die ‘Basisbanalitäten’ mystisch interpretierte und zu dieser Zeit der Hauptmitarbeiter von Morea und seiner Veröffentlichungen war: gerade wegen dieser ungeheuerlichen Einzelheit entschloss sich Vaneigem dazu, nicht einmal die Gesamtheit unserer Meinungsverschiedenheiten mit Morea zu diskutieren. Bei seiner Rückkehr nach Europa schien alles ganz klar zu sein, aber Morea schrieb an die Londoner Situationisten und beklagte sich, er sei bei Vaneigem verleumdet worden. Auf die genaue Sachlage wurde dann kollektiv geantwortet - sogar auf Ersuchen der englischen Genossen, die es gewissenhaft genau nehmen, indem sie von der ziemlich unwahrscheinlichen Voraussetzung ausgingen, Morea sei nicht genügend informiert gewesen. Jedoch nahmen die Engländer an, dass es die letzte Antwort sein würde, die wir an Morea schreiben könnten. Dieser schrieb aber noch einmal an alle, es seien nur falsche Vorwände und der Konflikt liege woanders: er beschimpfte unsere New Yorker Freunde und beanstandete diesmal Vaneigems Aussage. Trotz ihres ausdrücklichen Versprechens antworteten die Engländer Morea noch einmal, dass sie jetzt überhaupt nicht mehr verstehen würden, was los sei, und ‘jemand’ müsse also lügen. Gegen Morea wurden sie immer nachsichtiger und gegenüber unseren amerikanischen Freunden immer misstrauischer und sogar gegenüber Vaneigem, obwohl sie das nicht zugeben wollten. Dann haben wir die drei Engländer dazu aufgefordert, diese öffentlich verbreitete, beleidigende Unsicherheit wieder gut zu machen, und mit dem Fälscher und seinem Mystiker unverzüglich zu brechen. Sie akzeptierten dies zwar prinzipiell, lavierten dann aber und weigerten sich schließlich, praktisch zu handeln. Dann mussten wir mit ihnen brechen. Innerhalb von drei Wochen hatte diese Diskussion zu zwei Treffen in Paris und London, sowie zum Austausch von ungefähr zwölf langen Briefen geführt. Wir hatten etwas zu viel Geduld gehabt, das aber, was zunächst ein überraschend langsamer Gedankengang zu sein schien, stellte sich immer ernstlicher als ein Wille zur Verschleppung heraus, dessen Ursache nicht herauszubekommen war. Bis zum Ausschluss der Engländer ging die Diskussion jedoch nie über die hier dargelegten Einzelheiten hinaus und über die Frage der Methode, die sich auf so sonderbare Weise aufwarf, über die S.I.-Solidarität und die Gründe, die für unsere üblichen Ausschlüsse ausreichen (denn die Engländer haben niemals geleugnet, dass Morea sich mit einem schwachsinnigen Mystiker eingelassen habe.). Später kam Gray einmal in New York vorbei und erzählte jedem, der ihm zuhören wollte, mit trauriger Miene, seine totgeborene Gruppe habe das revolutionäre Projekt in Amerika von einer ärgerlichen Verständnislosigkeit der kontinental europäischen (und sogar der amerikanischen) Situationisten retten wollen, indem sie sich so direkt um Amerika kümmerte. In England selbst hätten diese Genossen das Gefühl gehabt, sie seien nicht genug geliebt worden. Sie hätten nicht gewagt, es zu sagen, sie hätten aber unter dem Mangel an Interesse der kontinentalen Situationisten für das, was sie machen wollten, gelitten. Man hätte sie in ihrem von allen Seiten mit Wasser umgebenden Land der Isolierung preisgegeben. Nach der Diskussion trat ein ‘theoretischer’ Grund hervor: da England einer revolutionären Krise viel näher stehe als das Festland, hätten sich die ‘festländischen’ Theoretiker darüber geärgert, dass ‘ihre’ Theorien anderswo verwirklicht werden müssten. Der Witz an der Sache ist, dass diese Art von historischem Gesetz des angelsächsischen Revolutionarismus sich schon fünf Monate später als falsch erweisen sollte. Immerhin hatte diese Kritik post festum neben ihrem komischen Wert einen etwas gemeinen Inhalt: diese ‘festländischen’ Theoretiker sollten also von einer Revolution ‘bei ihnen’ irgendeine Gelegenheit erwarten, sich selbst in der Regierungssphäre einzurichten, um sich derart darüber zu ärgern, dass ‘ihre’ Theorie anderswo früher verwirklicht würde. Bevor sie aber sicher sein konnten, dass diejenigen, deren heimliche Gegner sie waren, solche Absichten hatten, gaben die Londoner Ex-Situationisten die Herkunft ihrer eigenen Projektionen zu erkennen, indem sie sogar auf die Zeit vor dem Unabhängigkeitskrieg zurückgreifen wollten, um die amerikanische revolutionäre Bewegung von London aus zu führen. Selbstverständlich ging diese ganze Geopolitik am Tag ihres Ausschlusses selbst zugrunde.

Wir bestehen darauf zu erwähnen, dass Donald Nicholson-Smith während der zwei Jahre, in denen wir ihn gekannt haben, von uns allen ständig in jeder Hinsicht geschätzt wurde und bei uns die lebhafteste Sympathie erweckt hat. Sobald er aber in London war, hat er sich auf bedauernswerte Weise inkonsequent verhalten, indem er sich innerhalb eines Monats von der S.I. außenstehenden Individuen und von zwei gewiss schlecht ausgewählten Situationisten beeinflussen ließ. Als Nicholson-Smith uns sechs Monate später zweimal mit der Absicht schrieb, noch einmal mit uns zusammenzukommen, und mit dem Anerbieten, das ‘Missverständnis’ zu beseitigen, mussten wir jedoch zu unserem Bedauern sogar ein Treffen rein persönlicher Art ablehnen. Die Affäre war allzu zweideutig gewesen und Grays spätere Tätigkeit sollte diesen Charakterzug weiter behalten. Er gibt ein Blatt heraus, ‘King Mob’, das sehr zu unrecht für leicht pro-situationistisch gilt, in dem das Lob des ewigen Morea zu lesen ist - alles, was ihm übrig geblieben ist! Derart aber, dass einige wirklich erschütternde Texte des heutigen Morea von Gray und seinen Helfern ihrem Kreis verheimlicht werden, den sie weiter im Kult ihres Idols halten wollen, mit dem ein Jahr nach der Bewegung der Besetzungen ergötzlichen Argument, Morea hätte sich dadurch verdient gemacht, dass er einige radikale Positionen vom ’situationistischen Salon’ zum Kampf auf die Straße gebracht hätte! Derselbe Gray hat auch versucht, wieder mit uns in Kontakt zu treten - nur versteckt und durch die Vermittlung eines gewissen Allan Green, der behauptete, ihn nicht zu kennen, aber schon beim zweiten Treffen entlarvt werden konnte. Eine schöne und, wie es zu erwarten war, fein gemachte Arbeit! Die Garnault-Anhänger, diese ‘Einzigen’, müssen sich vor lauter Arger darüber, einen so würdigen Nachfolger gehabt zu haben, in ihrem Hochschulgrab wälzen.

Bemerkenswert ist, dass es seit fast zwei Jahren fast keinen anderen Ausschluss gegeben hat. Wir müssen zugeben, dass dieser erwähnenswerte Erfolg nicht ausschließlich dem tatsächlich verstärkten Bewusstsein und kohärenten Radikalisierung der Individuen der gegenwärtigen revolutionären Periode zu verdanken ist. Wir verdanken ihn auch der Tatsache, dass die S.I. immer strenger ihre vorherigen Beschlüsse über die Prüfung derer, die ihr beitreten wollen, anwendet, und in derselben Zeit 50 bis 60 Anwärter abgelehnt hat - was uns entsprechend viele Ausschlüsse erspart hat.